Als Hardrock und Heavy Metal in den 80er Jahren wahre Höhenflüge feierten, standen sie in ihrer Heimat zwar lediglich in der zweiten Reihe hinter den internationalen Aushängeschildern Scorpions und Accept, dennoch fanden sie über die deutschen Grenzen hinaus Anerkennung und Fans. Insgesamt über 200.000 verkaufte Alben, verdeutlichen den Stellenwert, den das Regensburger Quartett Mass zehn Jahre lang zwischen 1976 und 1986 in der Hard´n´Heavy-Szene genoss. Der findet nun auch mehr als zwei Dekaden später eine angemessene Würdigung: Die LPs der Gruppe um Bandleader und Bassist Günther V. Radny erscheinen remastert und mit Bonustracks angereichert erstmals auf CD. Den Anfang machen dabei im März „Angel Power“ und „Swiss Connection“, denen einige Wochen später im Mai „Metal Fighter“ und „War Law“ – vier von insgesamt acht Longplayern, die die Gruppe veröffentlicht hat.
Bis ins Jahr 1973 reicht die Historie von Mass zurück, als Radny (das V. steht für Viktor) mit Sänger Josef Hartl, Gitarrist Walter Speck und dem Schweizer Drummer Charles Frey (heute als Akron bekannter Autor) die Formation Black Mass startete. Nachdem Speck wegen psychischer Probleme, mit tödlichen Folgen aus einem Fenster sprang, ersetzte ihn der Saarbrücker Gitarrist Gerd Schneider, der zuvor mit Scorpions-Schlagzeuger Hermann Erbel alias Herman Rarebell bei RS Rindfleisch gespielt hatte. Schneider musste allerdings nach einem Jahr wegen massiver Drogenproblemen wieder gehen wurde durch den englischen Gitarristen Mick Thackeray(The Merseys), der in der Schweiz mit den Slaves und Countdowns, und in München mit Abi Ofarim spielte, der zudem seinen Schottischen Roadie Doug mitbrachte. Zur gleichen Zeit ersetzte Johannes Eder von der englischen Band I Drive kommend Drummer Frey, der sich laut Radny „auf den Büchertrip“ begeben hatte. Zudem wurde der Bandname auf Mass verkürzt. In dieser Besetzung nahm MASS im April 1975 im Studio 7o in München mit Dave Siddle am Mischpult, der unter anderen mit den Beatles, Jimy Hendrix, Jeff Beck, Animals und Deep Purple arbeitete ein Album auf. Auf Grund der Drogenprobleme von Sänger Josef Hartl wurde dieses Album nie veröffentlicht. Leider sind diese Bänder bis heute verschollen. Doch damit nicht genug der unruhigen Zeiten: Ein Jahr später mussten Hartl (Drogenprobleme, verstorben 1998) und Thackeray (übermäßiger Alkoholkonsum), gehen.
Mit dem aus Berlin gekommenen Detlef „Dave“ Schreiber als neuem Gitarristen war die Formation als Trio 1976 erst einmal stabilisiert. „Wir haben zu dritt zwei Platten gemacht, ´Back To The Music´ bei United Artists und ´Rock´n´Roll Power At 25th Hour´ bei Hot Stuff – als die gerade aufgenommen war, stieß Jack E. Burnside im August 1978 als Sänger dazu“, blickt Radny heute zurück, der sich bis dahin die Vocals mit Schreiber geteilt hatte. „Wir hatten uns beim Konzert von Jimi Hendrix am 15. Januar 1969 im Deutschen Museum in München kennen gelernt, bevor Jack nach New York zu seinem amerikanischen Vater ging. Nach der Rückkehr in die Heimat seiner deutschen Mutter stieg er dann bei uns ein“, erinnert sich der Bassist.
Und da wäre noch eine Episode aus den Anfangszeiten, die verdeutlicht, welches Ansehen Mass schon früh in der Musikszene genoss: Beinahe wäre kein Geringerer als Gitarrist Paul Kossoff nach dem Ende von Free bei den Regensburgern gelandet: „Wir hatten durch die Vermittlung unseres Roadies Doug schon im Juni 1971 Alexis Korner, Kossoffs großen Mentor beim ´Pop & Blues Sunday´ im Berliner Sportpalast kennen gelernt und beim Würzburger Pop-Festival im Juli 1972 wieder getroffen. Korner, für den Doug davor gearbeitet hatte, fragte dann an, ob Paul nicht bei uns einsteigen könnte. Er wollte ihn wegen seiner Drogenabhängigkeit um jeden Preis aus London weg haben. Da einige unserer Bandmitglieder selbst mit Drogen Probleme hatten, haben wir aber abgelehnt“, begründet Radny, warum es nicht zu diesem spektakulären Neuzugang kam. Ähnliches gilt seinen Worten zufolge auch für den Schweizer Gitarristen Tommy Kiefer, der mit Krokus zu Welterfolg kam, nach seinem Abschied sich vergebens um einen Job als zweiter Gitarrist bei Mass beworben hatte. „Übrigens hatten wir am 28. Januar 1977 bei unserem Gig in Chur eine Vorgruppe namens Krokus. Die spielten ein weitgehend Zappa-ähnliches Set, doch als letzte Nummer spielten sie einen beinharten Rocker – da habe ich den Gitarristen Fernando von Arb und Tommy Kiefer geraten, sich auf diese Schiene zu konzentrieren. Als ich dann einige Jahre später ihr von Martin Pearson produziertes Album ´Metal Rendezvous´ hörte, fielen mir fast die Ohren ab: Sie hatten genau das gemacht, was ich ihnen geraten hatte.“
Der Prophet gilt wenig im eigenen Land. Diese alte Weisheit traf auch auf Mass zu. Die aufkommenden Metal-Indie-Radios in England z. B. BFBS die Show von Tony Jasper und The Tommy Vance Show auf National Radio 1(wo die Band auch beachtlich Platten verkaufte) und Italien spielten Mass-Songs, in Spanien erschienen die LPs in aufwändiger Aufmachung . In Frankreich gab es ebenfalls begeisterte Reviews, in Benelux liefen die Scheiben auch so gut, dass die Gruppe es in die dortigen Radio-Charts schaffte und sogar Promoreisen zu Radiosendern absolvierte, und in Griechenland schaffte es die Band mit „Slaughter House“ bis auf Platz 4 der Albumcharts (vor Roxy Music). Eine Hellas-Tour platzte allerdings im letzten Moment (Radny: „Wir waren schon am Münchner Flughafen“), weil der versprochene Vorschuss nicht eintraf.
Bis zu 180 Konzerte pro Jahr spielte die Band in ihren Glanzzeiten, viele auch im Ausland: In Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz war Mass live zu erleben. Tourneen als Opener für Rose Tattoo, Thin Lizzy, UFO, Pretty Things, Golden Earring, Loudness, Omega, Wild Turckey (mit Jethro Tull Ex-Bassist Glenn Cornick und UFO-/Whitesnake-Gitarrist Bernie Marsden), Spencer Davis Group, oder der Edgar Broughton Band bescherten der Gruppe vor allem aber in Deutschland Aufmerksamkeit. Warum es dann aber doch nicht für den großen Durchbruch reichte? „Wir waren zu jung und haben zu viele schädliche Substanzen zu uns genommen. Und wir haben uns dabei von zu vielen Leuten aus der Musikindustrie reinreden lassen, dabei waren wir von Anfang bis zum Schluss ja nur in Anführungszeichen eine klassische Hardrock-Band – geliebt von den Fans und gehasst von vielen Kritikern der modernen Musikpresse“, sucht Radny im Rückblick eine Erklärung.
Am zufriedensten ist Radny heute vor allem mit den vier Scheiben, die Mass ab 1982 in der Schweiz im New Sound Studio in Päffikon bzw. in den Powerplay Studios in Maur einspielte. „Da arbeiteten wir mit Martin Pearson zusammen, der zuvor schon Krokus produziert hatte – der ließ uns ab ´Swiss Connection´ mehr Freiheiten, unsere Vorstellungen zu verwirklichen.“ Radny bringt es auf einen kurzen Nenner: „Wie wir es wollten, hört man besonders auf ´Swiss Connection´ und auch schon auf ´Slaughter House´. Dann sind wir ein bisschen härter geworden. Aber wenn wir auf dieser Rose Tattoo-, AC/DC-Schiene weitergemacht hätten, wäre es vielleicht besser gewesen. Aber wir haben ja immer von der Musik gelebt und waren abhängig davon, dass es mit der Plattenfirma in einem guten Zusammenspiel klappte.“
1986 spielte das Quartett nach Veröffentlichung der LP ´Kick Your Ass´ die letzte Tournee mit der klassischen Besetzung. Doch ganz war das Kapitel Mass noch nicht vorbei. Nachdem es vor allem aus gesundheitlichen Gründen mit der Stammbesetzung nicht mehr funktioniert hatte, unternahm Radny einen letzten Anlauf in einer neuen Besetzung mit Johannes Eder, Sänger Ritchie Newton sowie den Gitarristen Heinz Götz und Bernie Hohenester: „Wir hatten richtig viele Konzertangebote und haben auch eine Show in der mit 800 Besuchern ausverkauften Factory in Regensburg gespielt. Wir haben auch noch Demos mit dem Arbeitstitel ´We Rock The Party´ aufgenommen, aber ich habe dann doch die Finger davon gelassen. Vor allem die Gesundheit von Johannes Eder machten mir Sorgen und ließen letztlich einen Neuanfang nicht mehr zu“, blickt Radny zurück. „Umso mehr freut es mich, dass jetzt endlich in Zusammenarbeit mit SPV, wo ja auch unser letztes Album ´Kick Your Ass´ erschienen war, die alten Scheiben digital remastert und mit raren und unveröffentlichten Bonus-Tracks aus meinem Archiv endlich auch auf CD erscheinen“, erzählt der Bandleader.